Für das Einhorn
…Und einmal mehr riß er sein kräftiges Schlachtroß herum, legte die Lanze ein und galoppierte den Hang hinab, mitten in die Schlacht, die dort unten zwischen Vallconnan und Orks tobte.
Willard war Soldat, kein Ritter, doch er gehörte einer Abteilung schwer gepanzerter Laufenburger Reiterei an, die hier in Dragonford stationiert gewesen war, um die Sicherheit der Furt zu garantieren.
Und die Orks hatten diese Garantie herausgefordert, als sie begannen, Gabbithill zu belagern. Seit dem Beginn des Angriffes waren bereits 4 Tage vergangen, und immer noch strömten Orks aus den Wäldern, um den Vorposten zu schleifen. Nun, sollten sie nur kommen!
Von seiner Einheit waren bisher nur zwei Reiter gefallen, zusätzlich hatten sie einige Pferde verloren, doch dem Unit standen die stärksten Hengste Laufenburgs zur Verfügung.
Sein Leutnant hatte bis jetzt dafür gesorgt, daß dieses Unit die Schlacht entscheidend mitbestimmte, und sie taten gemeinsam alles, um diesen Tag zu einem guten Tag werden zu lassen.
Trotzdem sah es nicht besonders gut aus für die Streiter des Adlers. Gestern hatten morgens heftige Regenfälle eingesetzt, die die Rückführung der Verwundeten nach Dragonford erschwerten und das Schlachtfeld in einen rutschigen Morast verwandelten.
Kein gutes Terrain für Reiterei. Außerdem trauten die Orks sich anscheinend nicht mehr so richtig aus dem Wald und hatten stattdessen begonnen, Katapulte und schwere Armbrüste gegen das hölzerne Fort einzusetzen.
Mehrere der Holzbohlen im äußeren Verteidigungsring waren unter den schweren Felsbrocken zersplittert, und Willard war schmerzlich bewußt, daß in der kommenden Nacht Soldaten in diesen Breschen Dienst tun müßten, um die Orks zurück in den Wald zu jagen, wenn sie den Schutz der Dunkelheit ausnutzen wollten.
Zahlreiche Armbrustbolzen und Pfeile waren außerdem mit Brandsätzen bestückt worden. So einfach die Idee der Grünköpfe gewesen war, so erfolgreich war sie gewesen. Im ganzen Fort züngelten Flammen empor und Soldaten waren gezwungen, die Feuer zu löschen, anstatt den Orks die Schädel zu spalten.
Willard hatte Befehl bekommen, diese Belagerungsmaschinen mit seinen Reitern anzugreifen, die verteidigenden Orks niederzumachen und den vallconnischen Fußsoldaten den Weg zu den Mordinstrumenten zu ebnen. Und bis jetzt war der Angriff planmäßig erfolgt. Sein ehemals weißes Pferd war nun dick mit dem Blut seiner Feinde besudelt, und sein Wappenrock, der nass an seiner Plattenrüstung klebte, war ebenfalls mit dem Blut seiner Feinde getränkt.
Mit der Eleganz eines erfahrenen Veteranen führte er die schwere Kriegslanze gegen die Verteidiger eines Katapultes. Der Dorn an der Spitze der Lanze traf einen Ork direkt durch den Hals, um den dahinterstehenden Ork erst mit dem Blut des ersten Opfers zu bespritzen und die beiden anschließend gemeinsam in Locknars Faust zu werfen.
Neben ihm ging ein Pferd zu Boden, den Reiter im hohen Bogen abwerfend. Dieser drehte sich einige Male in der Luft, bevor er schwer in einem Pulk Grünhäute niederging. Die Grischnaks sprangen zuerst zurück, mehr erschrocken als kampfbereit, doch als sie erkannten, daß der Krieger von seiner schweren und nun verbeulten Rüstung daran gehindert wurde, sich wieder auf die Füsse zu rappeln, fielen sie johlend über ihr erkorenes Opfer her.
Doch der Soldat, ein junger, wütender Spund namens Ralph, kämpfte sich auf die Knie, zog einen kurzen Rabenschnabel aus dem Gürtel und kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Meute.
Willard wog die Lanze in der Hand, riß dann sein Pferd herum, und schleuderte seine Waffe gegen den Ork, den er für den Anführer hielt. Der überraschte Grünkopf wurde von der Wucht der Wurfwaffe rückwärts gerissen und an einen Baumstumpf genagelt, wo er zuckend hängenblieb und dann vor seine dunklen Götzen trat.
Der Soldat am Boden sah es und schöpfte frische Kraft. Mit dem Schrei eines Löwen sprang er auf die Beine und hackte wild um sich, hielt sich die Angreifer vom Hals, bis schließlich die Fußsoldaten zu ihm durchbrachen und ein Feldscher sich daran machte, seine Wunden zu versorgen.
Das Ganze hatte nicht mehr als einige Augenblicke gedauert. Erneut wendete Willard sein Pferd, warf den Schild achtlos weg und nahm das schwere Sattelschwert vom Knauf, eine Flambergeklinge, die sein Onkel selbst angefertigt hatte. Und auf zur nächsten Welle. Dieses Mal brachen die Reiter durch den Ring und hielten Ernte unter den Gruppen Orks, die die Katapulte bedienten. Willard schwang seine Klinge, ein Grinsen auf den Lippen, das aber unter seinem Topfhelm nur erahnt werden konnte. Und auf ihn achtete eh Niemand, jeder Vallconne im Umkreis von 250 Fuß war mit der häßlichen Fresse irgendeines Orks beschäftigt, die darauf aus war, ihm die Kehle durchzubeißen.
Ja, es war ein guter Tag. Da schlug ein Armbrustbolzen in Willards Sattel ein, nur eine Handbreit neben seinem Oberschenkel. Der Soldat schlug einem Ork den Kopf von den Schultern, nahm dann sein Pferd zurück und sah sich suchend um. Irgendwo mußte jetzt gerade ein Grünkopf hektisch damit beschäftigt sein, seine Armbrust erneut schußbereit zu bekommen und er würde bestimmt wieder auf den Reiter schießen. Der Qualm, der von den mittlerweile brennenden Katapulten aufstieg, nahm Willard einen Teil seiner Sicht, und der Helm tat das seinige. Deshalb erkannte der Veteran, der schon seit einem Dutzend Jahre an fast jedem Feldzug der Vallconnan teilgenommen hatte, den unscheinbaren Schatten unter einem der Bäume erst, als dieser die Armbrust zum erneuten Schuß ansetzte.
Rund um Willard schien der Kampf mit einem Mal stillzustehen, kein Geräusch, keine Bewegung. Über den Bügel der Armbrust hinweg sah er dem Ork in das zielende Auge, sah den Schmuck aus Kettenringen um dessen Hals, die verschmutzte Rüstung. Und die kleine, fast zärtlich ausgeführte Bewegung der rechten Klaue, die den Schuß der Armbrust auslöste. Instinktiv versuchte Willard, seinen Schild vor sich zu bringen, und führte seinen Arm nach oben.
Doch sein Schild lag hinter ihm im Schlamm. Unerreichbar fern. Willard glaubte, das Pfeifen zu hören, das der Wind in der Befiederung des Bolzens verursachte. Dann ein stumpfer Schlag auf seiner Brustkachel. Die Wucht riß ihn beinahe nach hinten aus dem Sattel, und sein Pferd, vom Ruck in den Zügeln irritiert, wieherte ängstlich und stieg.
Willards Arm, mit einem Mal kraftlos, ließ die Klinge fallen. Fassungslos starrte der Soldat auf den Bolzen, der bis zu den schwarzen Federn in der Rüstung steckte. Er müßte jetzt doch Schmerzen spüren, oder? Irgendetwas, oder Blut oder gebrochene Knochen, die ihn zusätzlich behinderten. Doch da war nichts, nur eine unbestimmte Taubheit, die sich in seiner Brust breitmachte, wie nach einem kräftigen Schlag beim Boxen.
Um ihn herum erwachte die Welt aus ihrer Erstarrung, liefen Vallconnan dem Feind entgegen, zum Töten bereit, wie schon seit so langer Zeit. Dieses Frühjahr hatten sie bereits unter den Sklaven des Damones gewütet, hatten hunderte in Ullums Hallen gesandt, um einst von ihnen bedient zu werden. Und im nächsten Sommer würden sie über die Mahas gehen, als stolzes Heer, um über die Orks hereinzubrechen wie eine Sturmwoge auf dem Moonlake über ein Fischerboot.
Langsam begann Willards Pferd, sich im Kreis zu drehen, und dem Soldaten blieb nichts übrig, als sich am Sattelknauf festzuhalten und darauf zu warten, daß sein Hengst ihn zurück in Sicherheit tragen würde, wie man es den Schlachtrössern seit einigen Jahren beibrachte. Doch seine Hände versagten ihm den Dienst, und langsam glitt Willard aus dem Sattel. Dabei war er immer ein guter Reiter gewesen, schon in seiner Jugend auf einem Bauernhof in der Nähe von Stalliongate hatte er ein besonderes Gespür für Pferde bewiesen, war regelrecht mit ihnen verschmolzen. Bei einem Wettkampf hatte er sich bewährt, und Hendrick von Laufenburg hatte ihn an seinen Hof geholt, und einen Soldaten aus ihm gemacht.
Der Aufschlag im Schlamm tat Willard weniger weh, als er erwartet hätte. Vor einigen Jahren hatte er sich bei einem ähnlichen Fall beide Arme gebrochen, wie er sich während des Fallens erinnerte, doch nun landete er fast entspannt flach auf dem Boden, mit dem Gesicht nach unten. So müde. Und es war Nacht geworden? Nein, der Helm war mit Schlamm gefüllt, der ihm die Sicht nahm und seine Atmung behinderte. Deshalb rollte er sich ungelenk auf den Rücken und drückte unter Aufbietung seiner letzten Kraftreserven den Helm ab. Die Sicht wurde besser, und der Regen wusch den Dreck aus seinem Gesicht. Doch das Band, das sich um seine Brust gelegt hatte, erschwerte das Luftholen immer mehr, zusammen mit dem Qualm der brennenden Katapulte.
Na ja, immerhin war der Bolzen verschwunden, lediglich eine einzelne Feder ragte noch aus dem kleinen, runden Loch in seiner Rüstung. Nichts ging über hypener Arbeit.
Aber kalt war es geworden. Wahrscheinlich der Regen. Und woher kam das Blut, das seine Finger benetzte? Er mußte sich wohl auf die Zunge gebissen haben, als er fiel. Sollten sich die Feldscher später darum kümmern. Doch als er sich aufrichten wollte, versagten ihm die Beine den Dienst. Gut, dann würde er hier auf die Soldaten warten. War ja auch nicht so wichtig, oder?
Seine Frau und sein Sohn würden jetzt in Hypen sitzen, und sich bestimmt Sorgen um ihn machen. Aber dafür war er ja Soldat, um sein Reich und die Menschen, die darin lebten zu schützen. Und deshalb war er immer guten Mutes unter dem Adler geritten, denn Eonar würde nicht zulassen, daß er vor der Zeit von seinem Posten abgezogen würde.
Die Müdigkeit wurde immer stärker. Nur für einen kurzen Moment ausruhen, danach eine neue Klinge aus der Hand eines Gefallenen nehmen und weiterkämpfen, die Schlachtlinie erneut schließen. Don´t cry but close our line…
Aber in diesem Moment würden die anderen Vallconnan die Schlacht alleine schlagen müssen. Der Qualm wurde immer dichter, nahm die Sicht und füllte seine Lungen. Heftiger Husten setzte ein, und Willard krümmte sich wie ein Bogen, geschüttelt von einem plötzlichen Anfall.
Seine Beine waren eingeschlafen. Und als er sich anschickte, den Waffenrock zur Seite zu schieben, um das Loch besser sehen zu können, da sah er das rote Rinnsal, welches sich über seine schimmernde Platte ergoß. Putzen, aber später, morgen vielleicht, denn es wurde ja schon dunkel, bald würde er den Mond sehen können. Unter dem Mond hatte er um die Hand seiner Frau angehalten, damals auf dem Dorffest, vor so vielen, glücklichen Jahren. Und dieser Mond hatte die Geburt seines Sohnes gesehen. Wo er nun wohl blieb?
Suchend schaute Willard sich um. War denn niemand von seinen Freunden hier, um sich ein wenig zu ihm zu setzen und zu reden? Zum Beispiel diese Frau dort drüben, die da am Waldrand stand und ihn betrachtete. Willard wollte rufen, doch seine Zunge war schwer, genau wie seine Arme. Die Frau jedoch hatte ihn bereits gesehen und kam auf ihn zu, ohne sich um die Schlacht zu kümmern, die rings um sie tobte. Gekleidet wie eine Priesterin des Nehmers, mit einem Morgenstern in der Faust, doch dem Kampf um sie herum fast teilnahmslos gegenüber, schien sie nur Augen für Willard zu haben. Und ihre Augen waren so … tief, fast wie eine Schlucht oben in den Loddies.
Vor ihm blieb sie stehen, jeder Zoll ihres Körpers strahlte Macht aus. Immer noch hielten ihre Augen die Seinen gefangen.
„Komm, Willard, es wird Zeit, zu gehen.“
„Wer bist Du?“
„Als es noch zählte, nannte man mich in dieser Gegend Sylvia.“
„Und wohin wirst Du mich führen?“
„Dorthin, wo dieser Kampf ein Ende für dich hat“
„Aber ich kann doch meinen Posten nicht verlassen, die Anderen vertrauen doch auf mich!“
„Nein Willard, Du verläßt deinen Posten nicht. Du hast dich tapfer geschlagen, doch nun ist dieser Kampf anderen zugedacht.“
Und Sylvia streckte die Hand aus und zog den schwergepanzerten Krieger auf die Füsse, wie andere Mädchen wohl Blumen pflücken würden. All die Müdigkeit fiel von ihm ab, während er den Ring an der Hand der Templerin betrachtete. Ein Silberring mit Runen, auf der Siegelplatte ein schwarzer Drache.
Während Willard den Drachen betrachtete, wandte dieser sein mächtiges Haupt, entfaltete seine ledrigen Flügel und brüllte seine Kraft über das Feld, doch keiner der alten Kameraden hörte den Ruf, nur Willard und Sylvia, und diese lächelte.
„Es wird Zeit, Willard“
„Ich kenne dich! Ja, ich kenne dich von den Fenstern des Schreins drüben in Dragonford! Du bist Sylvia of Malmedy, der zweite Drache von Dragonford.“
„Ja.“
Und Sylvia half dem Soldaten auf den Drachen, der sich sofort in die Lüfte erhob, weg von diesem Schlachtfeld, nach Osten, der Nacht entgegen.
„Wann werde ich meinen Sohn wiedersehen?“
„In vielen Jahren erst, wenn auch er seinen Kreis schließen wird.“
„Sagt mir Sistra, wird es gut sein, dort, wo wir hingehen?“
„Hab keine Angst, Willard.“
Der Mond ging endlich auf, dort hinten am Horizont. Und der Drache flog darauf zu, immer schneller, ein Wettlauf gegen den eigenen Schatten, der tief unter ihnen über das Wasser jagte.
Als Willard zum letzten Mal zurücksah, ging gerade das einzig noch übrig gebliebene Katapult der Orks in Flammen auf, der Auftrag der Reiter war erfüllt worden. Und Willard konnte sich an dieser Eiche sitzen sehen, ganz ruhig, ein Lächeln auf den toten Lippen, den Bolzen in der Brust, die den letzten Atemzug vor wenigen Augenblicken getan hatte.
Und Ralph, der Jungspund, bohrte gerade seinen Rabenschnabel durch die Kehle von Willards Mörder. Alles schloß sich im Kreis aus Werden, Sein und Vergehen. In my whole life I´ve heard the call, and honour will be mine! Lebt wohl, Brüder! Und niemals einen Schritt zurück…
Es war ein guter Tag gewesen, nun wurde es Zeit, für eine lange Zeit auszuruhen. Frieden strömte durch das Herz des Soldaten…
Nun ging es nach Hause, nach einem langen Leben, endlich Friede.
von Marc H., 1999